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Fünf Frauen gegen den Repressionsapparat

Am 19. April diesen Jahres endete einer der längsten Hungerstreiks, der je in einem Berliner Abschiebeknast stattfand. Er endete mit der Entlassung von Soja Schatz. Sie hatte 61 Tage für ihre Freilassung aus der Abschiebehaft gehungert.

An diesem Hungerstreik beteiligten sich anfangs noch acht Frauen. Nach dreieinhalb Wochen wurde er von fünf Ukrainerinnen konsequent und entschlossen fortgesetzt. Von den fünf Frauen wurden durch den Hungerstreik vier Frauen entlassen. Der fünften Hungerstreikenden, Lyudmyla Orlova fehlte in den entscheidenden Tagen vor allem die psychische Kraft, so daß sie am ca. 50. Tag den Hungerstreik abbrach. Lyudmyla wurde erst am 14. Juni - zwei Monate später - aus der Abschiebehaft entlassen.

Als die Frauen sich in der Antirassistischen Initiative (ARI) meldeten und um Unterstützung baten, saßen sie bereits seit mehreren Monaten im Abschiebeknast Berlin-Moabit in der Kruppstraße - und waren in der dritten Woche ihres Hungerstreiks. Die Frauen hatten zu diesem Zeitpunkt alle keine Rechtsbeistände.

Eine der wichtigsten Aufgabe der ARI war es demnach, neben RechtsanwältInnen auch ÄrztInnen, BesucherInnen, DolmetscherInnen einzubinden, um einerseits den stetigen Kontakt zu den Frauen zu gewährleisten - andererseits auf juristischer und medizinischer Ebene kompetent agieren zu können. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Kräfte wurde mit zunehmender Länge des Hungerstreiks und mit dem Auftreten lebensbedrohlicher Zustände der Hungerstreikenden immer wichtiger. Zum Beispiel bei der Durchsetzung der Patientinnen-Interessen gegenüber dem polizeiärztlichen Dienst; bei Dienstaufsichtsbeschwerden, bei den diversen Anträgen auf Haftentlassung aufgrund der schweren körperlichen Schäden der Frauen usw.

Parallel dazu war die Öffentlichkeitsarbeit ein weiterer wichtiger Eckpfeiler des Protestes. Die Frauen formulierten gemeinsame Statements, sie gaben life-Interviews per Telefon aus dem Knast heraus für Radiosender, sie sprachen ihre Forderungen auf Band, so daß diese bei Demonstrationen abgespielt werden konnten oder sie ließen sich von JournalistInnen direkt im Abschiebeknast durch die Trennwand interviewen. Auch nach Beendigung des Hungerstreiks stellten sie sich der Presse weiterhin zu Verfügung.

Die ARI initierte eine große Öffentlichkeitskampagne zum Hungerstreik. Es gelang, PolitikerInnen und prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zur Unterstützung zu gewinnen. In Fax- und Briefaktionen wurden Protestschreiben von Organisationen des In- und Auslandes und von vielen Einzelpersonen an die politisch Verantworlichen geschickt.

Wie sehr der Stachel traf, zeigt das folgende Zitat des Berliner Innensenators Werthebach aus einem Brief an Ralph Giordano: "Lassen Sie bitte nicht außer Acht, dass Frau Schatz nichts unversucht gelassen hat, gerade unter Zuhilfenahme der Medien ihren weiteren illegalen Aufenthalt in Deutschland mit allen Mitteln zu erzwingen. Gezielt eingesetzte Nahrungsverweigerungen dürfen hierfür kein erfolgversprechendes Mittel sein."

Im Laufe der Zeit wurde allen UnterstützerInnen deutlich, daß bei diesem Hungerstreik und mit diesen Frauen ein Exempel statuiert wurde. Grund dafür war sicher die unbeirrbare Entschlossenheit und Konsequenz, mit der die Frauen agierten. Die Frauen selbst vermuteten, daß sie deshalb so sehr schikaniert würden, weil sie Frauen seien.

Sie wurden ab der dritten Woche in einer Gemeinsschaftszelle im sonst unbelebten Erdgeschoß des Abschiebeknastes untergebracht und waren damit von anderen Gefangenen völlig isoliert. Sie widerstanden allen Spaltungsversuchen der Knastleitung, sie konnten die Schikanen des medizinischen Personals und des Bewachungspersonals öffentlich machen und damit der Propaganda des Innensenats die Grundlage entziehen. Alle Hungerstreikenden hatten bis zu ihrer Entlassung Infusionen oder Medikamente konsequent abgelehnt, um den Streik nicht zu verlängern. Dana und Soja wurden am 51. bzw. 55. Hungerstreiktag ins Haftkrankenhaus der JVA-Moabit gebracht und mußten Verfügungen unterschreiben, die festlegten, was mit ihnen im Falle des Eintretens ihrer Bewußtlosigkeit geschehen solle.

Alle Frauen mußten mit rechtsanwaltlicher Hilfe freigekämpft werden. Keine von ihnen wurde allein aufgrund ihres schwerkranken Zustandes, z.B. von den Knastärzten, für haftunfähig erklärt und damit entlassen. Im Gegenteil: sie galten als "gesund" obwohl sie von unabhängigen ÄrztInnen mehrfach als hochgefährdet eingeschätzt wurden. Knast-Ärzte und Politiker nahmen über Wochen bewußt den drohenden Tod oder schwere Folgeschäden durch den achtwöchigen Hungerstreik der Frauen in Kauf. Auf dem Höhepunkt der öffentlichen Empörung, als Protest-Aktionen beim Innensenat und direkt vor dem Haftkrankenhaus stattfanden, wurde kurz vor den Osterfeiertagen Soja Schatz als letzte Hungerstreikende entlassen.

Nach der Entlassung aus der Haft wurden Dana und Soja sofort in ein öffentliches Krankenhaus gebracht, in dem sie die Folgen des langen Hungerstreiks auskurieren konnten. Nach diesem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt wurde die Ausländerbehörde wieder aktiv. Soja drohte jetzt direkt die Abschiebung und sie mußte untertauchen- Gegen Danas Entlassung hatte die Ausländerbehörde Beschwerde eingelegt und sie mußte sich wieder den Verfolgungsbehörden stellen.

Resultat für die Frauen: Sie haben ihr Ziel, Freilassung aus der Abschiebehaft, erreicht. Lediglich zwei von Ihnen haben für einige Wochen eine Duldung erhalten - die anderen sind weiterhin ohne gültige Aufenthaltspapiere. Sie sind wieder Sans Papiers.
 

Juli 2000
Antirassistische Initiative Berlin